Ein Diktator mit Zugang zu Atomwaffen wird beinahe von einem Restaurantbesitzer gestürzt, der 25.000 schwerbewaffnete Söldner kontrolliert. Das klingt eher wie ein Drehbuch eines Hollywood-Films als wie etwas, was tatsächlich passiert ist. Die geopolitische Lage ist heute, verglichen mit dem relativ stabilen Mächtegleichgewicht des Kalten Krieges und der langen Zeit der so genannten „Friedensdividende“, viel risikoreicher geworden. Wir sind in einem Konflikt der demokratischen gegen die autoritären Systeme, der auch mit unfairen Mitteln und sogar durch Kriege ausgefochten wird.
Deutschland hat sich diesen Konflikt nicht gewünscht. Wir haben immer wieder versucht, mit der russischen Seite im Gespräch zu bleiben. Putin hat das zerstört. Nun ist der Konflikt da und wir müssen uns in ihm behaupten. Wir müssen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung, unser Bündnis und unsere soziale Marktwirtschaft verteidigen. (Es ist auch nicht verboten, darauf zu hoffen, dass sich die politische Ausrichtung Russlands in einigen Jahren wieder ändern. Das würde ich sehr begrüßen und es wird um so wahrscheinlicher, je widerstandsfähiger wir sind.)
Wir werden gemeinsam mit unseren Partnern in NATO und EU sicher durch diese Krise kommen. Wir sind nicht allein – das ist tröstlich – und auch wir müssen unseren Beitrag im Bündnis leisten. Dazu müssen wir die richtigen Entscheidungen treffen. Aus meiner Sicht sollten wir unsere gesamte Gesellschaft stärken. Starke Sicherheitsorgane sind wichtig. Wir dürfen die Zeitenwende aber nicht nur militärisch ausbuchstabieren. Wir brauchen ein Resilienzprogramm für die gesamte Gesellschaft.
Wie kann ein solches Programm aussehen? Wir müssen, erstens, noch einmal über die Bundeswehr sprechen. Russland macht Fehler und wirkt insgesamt nicht immer wie ein moderner Staat, das Land hat aber einen langen Atem und viele Ressourcen. Angesichts der russischen Produktionszahlen kann ich die Nachbestellung von 18 an die Ukraine abgegebenen LEOPARD-2-Panzern nicht als den großen Wurf empfinden. Ein deutsches Panzerbataillon hat in der Praxis 25 bis 30 Panzer und nicht die in der STAN vorgesehenen 44. Das muss sich schleunigst ändern. Ebenso brauchen wir eine Verstetigung der Unterstützung der Ukraine.
Klar ist auch, dass wir Sicherheit insgesamt in den Blick nehmen müssen. Neben der militärischen Sicherheit sind auch der Schutz der Kritischen Infrastruktur, die innere Sicherheit und der Schutz des Rechts von großer Bedeutung. Angesichts der zunehmenden Cyberkriminalität müssen wir die digitale Sicherheit stärken.
Genauso wichtig ist es, dass wir das Auseinanderdriften und die Spaltung der Gesellschaft stoppen. Wir sind eine Gemeinschaft. Jeder junge Mensch in Deutschland braucht eine Ausbildung und eine wirtschaftliche Perspektive, unabhängig davon, welche Hautfarbe er hat oder wo seine Eltern geboren sind. Die Kinderarmut und die Wohnungslosigkeit sind besorgniserregend. Wir müssen massiv in Kinderbetreuung, in den Wohnungsbau und in das Erscheinungsbild unserer Städte investieren. Jede Familie sollte sich eine eigene Wohnung oder ein Haus leisten können. Wir müssen die Erfolgsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft neu schreiben.
Soziale Sicherheit, Bildung, Perspektiven und gesellschaftlicher Zusammenhalt sind keine Gegensätze zu einer starken Verteidigung, sondern ergänzen sie. Eine Kindergrundsicherung beispielsweise macht ein Land widerstandsfähiger gegen politische Radikalisierung und äußere Propaganda. Wir müssen alle Aspekte von Sicherheit zusammen denken.
Wichtig ist dabei auch, dass wir die Zeitenwende nicht fiskalisch ausbremsen. Ja, der Staat darf sich nicht beliebig verschulden. Teilweise werden Mittel unwirtschaftlich eingesetzt, es gibt ohne Zweifel noch Wirtschaftlichkeitsreserven im System. Dennoch: Wenn wir jetzt nicht in die Zukunft investieren, besteht die Gefahr, dass wir scheitern. Wir brauchen ein gutes Finanzierungsmodell und da erwarte ich vom Finanzministerium auch Vorschläge.